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Nord-Pfälzer Bergland (Teil 10): von Anschlusslücken, Dorfläden und alten Zeiten

Plöt­zlich ist die Bude voll. Die Umsteiger Rich­tung Pfalz sind in Bad Mün­ster am Stein ges­tran­det. Die kleine Bäck­erei ist ihre Anlauf­stelle, um die Stunde Warten auf den näch­sten Zug mit heißem Kaf­fee und Rosi­nen­brötchen zu über­brück­en. Fast genau vor einem Jahr ist mir das schon ein­mal passiert. Ziem­lich kalt war es damals. Das Läd­chen mit Sitzecke hat­te ich damals noch nicht ent­deckt und jäm­mer­lich gefroren deshalb. Die Prov­inzbäck­erei brummt, wenn die Bahn den sportlichen Takt zwis­chen Nahe- und Alsen­zlin­ie nicht schafft. Vielle­icht ist das über­haupt der Grund, warum sie noch existiert?! So betra­chtet machen Anschlus­slück­en Sinn.

Nach der spon­ta­nen Kaf­feep­ause steige ich 3 Sta­tio­nen später aus, wo ich in den ver­gan­genen Monat­en immer mal wieder eingestiegen bin: in Alsenz. Von hier aus ver­läuft die 10. Etappe mein­er Jahreswan­derung durch die Nordp­falz nach Hochstät­ten durch das Hin­ter­tal raus aus dem Alsen­z­tal, um den Glicker­berg (228 m) herum, am Höch­sten Kreuz (319 m) vor­bei über die Hochebene nach Feil­bingert, Trom­bach­er Hof, Drei Buchen, Birk­er­hof und runter ins Nahetal nach Norheim (15 km). Ich wan­dere von Tal zu Tal.

Eine Won­neprop­pen­tour ist das. Die ersten 5 Kilo­me­ter gehe ich unten in der Tal­sohle. Auf Wiesen­we­gen, weichem Laub, durch Wald. Es duftet nach Herb­st. Der let­zte Nebel hängt in den schon bunt gefärbten Wipfeln. Die Sonne wärmt bis nach unten zu mir. Hin­ter Hochstät­ten ent­decke ich einen Wal­nuss­baum. Zwei Hände voll Nüsse packe ich in die Hosen­taschen. Das Hin­ter­tal ist eine Augen­wei­de. Wei­den, Wiesen, Wald. Dort tiefe Spuren der Wild­schweine. Oben kündi­gen die ersten Wein­berge das Nahe­land an. Ich drehe mich um 180 Grad. Wech­se­le die Blick­rich­tung. Im Osten lugen die Win­dräder der Rhein­hes­sis­chen Schweiz über den Kamm.

Die Wein­lese ist in vollem Gang. Stim­men der Winz­er und Ern­te­helfer klin­gen durch die Stille rüber. Oben im Wingert tre­ffe ich sie bei der Mit­tagspause an. Inzwis­chen fällt es mir leicht, Leute zu fra­gen, ob ich sie fotografieren darf. Ich darf. Später denke ich, dass dieses Bild so schon vor 50 Jahren hätte ent­standen sein kön­nen. Colaflasche aus PET, Getränkekun­st­stof­fk­iste und Plas­tik­stüh­le weggedacht. Ich mache einige Kur­ven später auf ein­er war­men Naturstein­mauer Rast. Logen­platz mir weit­em Blick in die Nordp­falz. Die Eidech­sen lieben diese Trock­en­mauern auch. Wie gerufen, huschen zu meinen Füßen zwei durchs Gestein. Was eine grandiose Aus­sicht von hier oben! Der Charak­ter­buck­el des Don­ners­berg ist im Dun­st zu erkennen.

Kann mer Ihne helfe?“, fragt die Frau auf der anderen Straßen­seite. Ich ste­he in Feil­bingert vor dem ehe­ma­li­gen Läd­chen der Christ­mann-Schwest­ern. Über der Tür hängt noch das Schild. A & O. Seit Jahrzehn­ten ist es geschlossen. Früher haben wir hier eingekauft. Vor allem in den Som­mer­fe­rien. Ohne Auto waren wir froh, dass es ihn gab. Kleinere Besorgun­gen habe ich mit dem schwarzen Rad mein­er Mut­ter erledigt. Das mit dem geschwun­genen Lenker, dem bre­it­en, beque­men Led­er­sat­tel. Ohne Gangschal­tung. Hinzus hochschieben. Zurück laufen lassen. Bis meine Beine lang genug waren, bin ich im Ste­hen gefahren. Diese Einkauf­saus­flüge habe ich geliebt! Über 40 Jahre ist das her. Auch die Feil­binger­t­erin, die mich ange­sprochen hat, hat schöne Erin­nerun­gen an die Zeit, als die Leute aus dem Dorf und aus dem Lüßert­tal hier Wasch­pul­ver, Milch, Strümpfe, Mag­gi und Eis am Stiel und was weiß ich noch kauften. Sie ist vis à vis dieses Gemis­cht­waren­ladens aufgewach­sen. Den Bäck­er um die Ecke gibt es auch nicht mehr. Die besten Brötchen und die leck­er­sten Bon­bons gab es dort. Für 5 Pfen­nige eine ganze Tüte. Tja, hier gibt es halt keinen Bahnhof.

Auf dem Feil­er Fried­hof laufe ich die Grabrei­hen ab. Ich suche das Grab der Großel­tern. Die Eltern meines Vaters. Finde es nicht und spreche einen älteren Her­rn an. Ja, den Albert Tharun, den Hüt­ten­wirt vom Lem­berg, den ken­nt er noch. Aber das Grab? Auch die ältere Dame, die auf einem Dreirad für Erwach­sene anger­adelt kommt, kann nicht weit­er­helfen. Den Sohn der Schwest­er, den kön­nte man fra­gen. Aber der wohnt in der ent­ge­genge­set­zten Rich­tung am anderen Ende des Dor­fes. Ich werde meine Mut­ter fra­gen. Meine Ver­gan­gen­heit zer­bröselt wie Sandstein.

Die Weg­markierung am Trom­bach­er Hof gibt mir Rät­sel auf. In dieser Ecke war ich in meinem Leben noch nicht gewe­sen. Ohne Karte wäre ich jet­zt ver­loren. Alles gut. Durch den Wald höre ich den Motor eines Rasen­mähers, Stim­men und das Klack­en abgeschla­gen­er Bälle. Der Golf­platz. Auch hier war ich noch nicht. Neu für mich ist auch diese totale Per­spek­tive auf die beein­druck­ende Por­phyr­wand des Roten­fels. Über einen sehr steilen Weg, der sich mit Bergp­faden in den Alpen messen kann, steige ich durch den Norheimer Wald ins Nahetal ab. Muss mich sputen. Nur noch 10 Minuten bis der Zug kommt. Den Abfahrt­s­plan habe ich inzwis­chen im Kopf! Ohne Umsteigen geht s zurück in die Stadt. ;-)

+ + Etappe 10 – Nord-Pfälz­er Berg­land 2014  – Mittwoch, 1.10. – von Alsenz nach Norheim, 15 km, 518 hm Auf­stieg, 395 hm Abstieg, höch­ster Punkt: 314 m, niedrig­ster Punkt: 130 m ++ ++ ++ Karten:
++++Westp­falz Nord – Blatt 1. Pfälz­er Berg­land mit Nahe –  Topographis­che Karte 1:25.000 – ISBN 978–3‑89637–412‑7
Natur­park Soon­wald-Nahe — Blatt 4, Bad Kreuz­nach, Lan­gen­lon­sheim, Bad Mün­ster am Stein, Ebern­burg, Bad Sobern­heim, Rüdesheim — Topographis­che Karte 1:25.000 — ISBN 978–3‑89637–375‑5 ++ ++

 

 

Heike Tharun

Autor:

Ich bin Heike Tharun. Unterwegs in den Mittelgebirge rund um meine Heimatstadt Mainz: Oberes Mittelrheintal, Nord-Pfälzer Bergland, Hunsrück, Taunus + in meiner zweiten Heimat: das Oberallgäu bei Oberstdorf, Bad Hindelang, Hinterstein. Ich bin leidenschaftliche Bergwanderin. Bergab-Floh und Bergauf-Schnecke. Ich kenne Höhenangst und weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, mit schmerzendem Knie abzusteigen. Bei Problemen gebe ich nicht gerne klein bei, vor allem wenn mir etwas wichtig ist. Seit 6 Jahren gebe ich als Sportmental-Coach mein Wissen und meine Erfahrungen in Bergmut-Seminaren und -Coachings weiter. Auf Heimatwandern.de zeige ich Dir, wie Du auch mit hohem Sicherheitsbedürfnis mit den Herausforderungen der Berge/der Natur heimisch wirst ohne den eigenen Rhythmus aus den Augen zu verlieren. Du lernst Dein Potenzial abzurufen und mit Selbstvertrauen und Zuversicht in Deinem Lieblingsgebirge unterwegs zu sein! Abonniere meinen Bergmut-Brief, verschenke einen Bergmut-Gutschein oder bestelle fürs kulinarische Gipfelglück unser Buch aus dem Land der 1000 Hügel.

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