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Gedanken-Fiesling loswerden: Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“

Im Fluss bleiben

Es gibt Gedanken, die Dich in den Bergen unter­stützen und es gibt Gedanken, die Dir Stöcke zwis­chen die Beine werfen.

Ein Exem­plar der let­zteren Art ist der Gedanke; Wenn ich wüsste, wie.., dann..!“ Wenn ich wüsste, dass es hin­ter der Biegung nur noch kurz so aus­ge­set­zt weit­erge­ht und ich mich fes­thal­ten kann, dann würde ich mich trauen, diesen Pfad zu gehen.“ Wenn ich wüsste, ob der Weg dort hin­ten weit­er ger­adeaus Rich­tung Ziel ver­läuft, dann würde ich ihm weit­er fol­gen.“ Wenn ich wüsste, dass das einzige Schot­ter­feld ist, das ich queren muss, dann würde ich die Tour wagen.“ Usw., usw., usw.

Über diesen Gedanken habe ich schon öfter geschrieben. Aber er hält sich hart­näck­ig und kommt in den Köpfen mein­er Kursteil­nehmer und Cochees regelmäßig aus der Versenkung. Ein echter Anbab­ber. Anbab­ber nen­nt man bei uns im Rhein­hes­sis­chen einen Men­schen, der sich unge­beten dran­hängt und den man nicht los wird.

Gefahr im Verzug! Deshalb gehe ich [gegen meine Gewohn­heit­en] zum Großan­griff über und widme diesem speziellen Gedanken einen ganzen Artikel, um ihm damit endgültig den Gar aus zu machen.

Vor allem Höhenängst­lerIn­nen, Trit­tun­sicheren oder Ori­en­tierungslosen will ich den Gedanken Wenn ich wüsste, wie…, dann…! so richtig madig machen. Und zwar indem ich seinen miesen Charak­ter offen lege. Dadurch wer­den seine fiesen Tricks für Dich durch­schaubar. Du kriegst [hof­fentlich] die Gaasegichtern [ist Meen­z­erisch und heißt: sich tierisch aufre­gen) und erteilst diesem men­tal­en Anbab­ber endgültig Platzver­weis in Deinem Kopf.

Als ich über­legt habe, wie ich Dir am besten seine Gemein­heit vor Augen führe, ist mir ein Spiel aus Kinderta­gen einge­fall­en. Wurstschnap­pen. Kurz habe ich auch an das Brettspiel Müh­le“ bzw. Zwick­müh­le“ gedacht. Aber Müh­le“ habe ich lange nicht gespielt und habe kein genaues Bild mehr von den Abläufen. Wurstschnap­pen hat sich in mein Hirn einge­bran­nt. Vor allem das elende Gefühl, wenn man in der Rolle des Schnap­pers war. Wahrschein­lich genau deshalb.

Ja, Wurstschnap­pen scheint mir genau die passende Analo­gie zu sein, um Dir den Gedanken Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“ nach Strich und Faden zu  verleiden.

 So funktioniert das [gemeine] Spielchen:

Auf Kinderge­burt­sta­gen haben wir früher Wurstschnap­pen gespielt. Bei diesem Spiel geht es darum, eine Wurst, die an ein­er Angel baumelt, mit dem Mund zu fan­gen; die Hände bleiben auf dem Rück­en. Die Angel wird von einem zweit­en Spiel­er bewegt, dem es darum geht, dem Schnap­per, das Schnap­pen mit dem Mund so schw­er wie möglich zu machen. Von der Gun­st des Anglers hängt es ab, ob und wie schnell es dem Schnap­per gelingt, die Wurst mit dem Mund zu greifen.

Das hört sich nach Stress für den Schnap­per an. Und in der Tat ist der Spaß in diesem Spiel augen­schein­lich ungle­ich­mäßig verteilt. Er ist ganz klar auf der Seite desjeni­gen, der die Angel mit der Wurst dran von Deinem Mund baumeln lässt; mal näher, mal weit­er. Und natür­lich bei den Zuschauern. Ob der Schnap­per Spaß hat, hängt von sein­er Ein­stel­lung ab [Das ist auch ein span­nen­der Zweig mein­er Analo­gie, aber ich ver­folge ihn in diesem Text nicht weit­er, weil dieser Weg nicht zu meinem Ziel führt: Dir den Gedanken vermiesen].

Nehmen wir an, der Schnap­per ist schlecht drauf und geht ver­bis­sen, kämpferisch oder auch zu lasch (weil er aus irgen­deinem Grund keine rechte Lust hat; da kann ich eh nur ver­lieren] in das Spiel.  Je länger der Angler ihn zap­peln lässt, ihn foppt, desto eher beste­ht die Gefahr, dass der Schnap­per ärg­er­lich wird und völ­lig die Lust ver­liert an dem Spiel. Beson­ders per­fide ist der Moment, wenn man die Wurst schon zu einem Drit­tel im Mund hat und der Angler sie einem wieder buch­stäblich im let­zten Moment wegzieht.

Ich denke, Du hast jet­zt eine Vorstel­lung vom Wurstschnap­pen und dem Stresspo­ten­tial, der Gemein­heit, die in diesem Spiel steck­en und wie dieser neg­a­tive Zug bedi­ent wer­den kann.

Am Berg: Was ist die Wurst, was die Angel und wer hat Dich in der Hand?

Kom­men wir nun zur Analo­gie. Was hat Wurstschnap­pen mit dem Gedanken Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“ in ein­er angstaus­lösenden Sit­u­a­tion in den Bergen zu tun?

Verteilen wir zunächst die Rollen:

Du bist in diesem Spiel Angler, Schnap­per und Spielleit­er in Per­son­alu­nion. Mit dem Gedanken Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“ legst Du die Wurst und die Angel fest:

Die Wurst ist das, was Du anstreb­st: Überblick, Klarheit über ein Ter­rain, dass Du im Moment auf Grund ein­er ungün­sti­gen Posi­tion [Fels, Biegung, Joch etc.] nicht ein­se­hen kannst. Die Angel ist die Bedin­gung an der das Erre­ichen der Wurst gekop­pelt ist: Hinge­hen und nachschauen.

Unter nor­malen Umstän­den kein Prob­lem. Aber erin­nere Dich, die Umstände sind für Dich ger­ade alles andere als nor­mal. Du steckst am Berg in ein­er für Dich unsicheren Sit­u­a­tion: kurvige, aus­ge­set­zte Pas­sage, schw­er ein­schätzbar­er Grat, unein­sichtiges Schot­ter­feld, unüber­sichtlich­er Wald und so weit­er und so weiter.

Du hast Höhenangst und traust Dich nicht so weit an die Kante ranzuge­hen, um zu sehen, wie tief es tat­säch­lich runter geht. Du bist trit­tun­sich­er und hast Angst hast, an das andere Ende des Schot­ter­felds zu gehen, um Dir einen Überblick über den weit­eren Ver­lauf des Weges zu ver­schaf­fen. Oder Dein Ori­en­tierungssinn  erlaubt Dir nicht, Dich als zu weit auf unbekan­ntes, undurch­sichtiges Ter­rain zu begeben.

Mit anderen Worten, Du hast zum einen die Hände auf dem Rück­en“ [bist durch steile Schrä­gen, unebene Unter­gründe und Aus­ge­set­ztheit kör­per­lich unge­wohnt gefordert] und zum anderen kom­men Gefüh­le ins Spiel, die Dich zusät­zlich aus­brem­sen: Angst, Stress, Unsicherheit.

In diesem Zus­tand ist die Lösung Hinge­hen und Nach­schauen“ für Dein Gehirn keine Option. Äng­ste und Unsicher­heit­en machen diese Lösung für Dich unerreichbar.

Mit dem Gedanken Wenn ich wüsste, wie…, dann….“ erlaub­st Du Deinen Äng­sten und Unsicher­heit­en, Wurstschnap­pen mit Dir zu spielen.

In ein­er angstaus­lösenden Sit­u­a­tion [nicht nur, aber hier ist die Wirkung beson­ders per­fide] hängt der Gedanke Wenn ich wüsste, wie…, dann…“ die Lösung des Prob­lems [die Wurst] zum Greifen nah und gle­ichzeit­ig unerreichbar.

Und? Wo ist Dein Puls jetzt?

Merkst Du, wie Dir der Kamm schwillt bei der Vorstel­lung in diesem Spiel in der abhängi­gen Posi­tion, der Schnap­per zu sein? Dann hätte dieses Gedanken­spiel schon an dieser Stelle seinen Zweck erfüllt.

Ich merke jeden­falls schon während ich hier schreibe, wie sich ungute Gefüh­le bei mir bre­it­machen, bei dem Gedanken daran, dass man alleine durch einen Gedanken zum Spiel­ball sein­er Äng­ste und Unsicher­heit­en wer­den kann. Unmöglich, oder?! Mein Puls steigt. Und Deiner?

Damit kein Missver­ständ­nis aufkommt: Der Wun­sch zu wis­sen, wie ein Weg weit­er geht, wie lange eine schwierige Pas­sage ist oder wie tief es hin­ter ein­er Kante runter geht, ist völ­lig legit­im. Mit den eige­nen Augen das Ter­rain zu sehen und ent­lang der eige­nen Fähigkeit­en zu bew­erten, ist so zu sagen Grund­vo­raus­set­zung ein­er ver­lässlichen Selbsteinschätzung.

Die Frage ist, mit welchem Gedanken tust Du das sin­nvoller Weise.

Mir ging es darum, darauf aufmerk­sam zu machen, dass der Gedanke Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“ völ­lig ungeeignet ist, um diese Bedin­gung zu erfüllen. Er ist ungeeignet. So wie das Spiel Wurstschnap­pen“ ohne regel­nde Hil­festel­lung von Erwach­se­nen nicht geeignet ist, bei Kindern das Selb­stver­trauen zu fördern. Aber das ist ein anderes Thema.

Um in den Bergen unge­wohnte, her­aus­fordernde und unter Umstän­den angstaus­lösende Sit­u­a­tio­nen zu meis­tern, brauchen wir Gedanken, die wohltuende, entspan­nende, motivierende Gefüh­le auslösen.

Der Gedanke Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“ tut nichts zu dieser Sache beitra­gen. Im Gegen­teil, er lässt einem die Lösung ver­heißungsvoll und doch so unerr­e­ich­bar vor der Nase baumeln. Er demo­tiviert, bremst Dich aus und pro­gram­miert Ärg­er vor. Die Gefüh­le, die daraus resul­tieren, trig­gern die Angst und Unsicher­heit­en weit­er an, statt uns dabei zu unter­stützen, uns auf das zu konzen­tri­eren, was jet­zt zu tun ist.

Zur Beruhigung ein kleines Experiment auf der Couch

Du bist noch nicht überzeugt von mein­er zugegeben ungewöhn­lichen Argu­men­ta­tion? Du brauchst noch unmit­tel­bare Erfahrung, wie der Gedanke Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“ tat­säch­lich wirkt?

Dann mach‘ doch bitte jet­zt sofort ein kleines Exper­i­ment [auf der sicheren Couch]:

Stell‘ Dir vor Deinem inneren Auge vor, Du bist am Berg in ein­er unüber­sichtlichen Sit­u­a­tion. Der Puls steigt. Die Knie wer­den weich. Du bist Dir nicht sich­er, ob Du den weit­eren Anforderun­gen des Wegs gewach­sen bist. Um Gewis­sheit zu erlan­gen, müsstest Du genau die Stelle passieren, die Dir Unbe­ha­gen bere­it­et. Okay? Bist Du bere­it? Alles klar.

Das Exper­i­ment hat zwei Teile.

Denke zuerst den Gedanken Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“ Schau‘ ob und welche Gefüh­le sich bei Dir bre­it machen. Im zweit­en Teil des Exper­i­ments lenkst Du Deine Aufmerk­samkeit auf einen alter­na­tiv­en Gedanken: Ich will wis­sen, wie der Weg hin­ter der Felsecke aussieht. Ich gehe Schritt für Schritt, in meinem Tem­po, in Rich­tung Fel­skante, bis ich in der Lage bin, das dahin­ter liegende Ter­rain mit eige­nen Augen einzusehen.“

Bei welchem Gedanken weicht die Anspan­nung in Kopf und Körper?

Ich wün­sche mir, dass es mir gelun­gen ist, Dich zu bewe­gen, den Gedanken Wenn ich wüsste, wie…, dann…!“ aus Deinem men­tal­en Werkzeugkof­fer rauszuschmeißen. Ab in die Tonne damit!

Gutes Gelin­gen!

Heike Tharun

Autor:

Ich bin Heike Tharun. Unterwegs in den Mittelgebirge rund um meine Heimatstadt Mainz: Oberes Mittelrheintal, Nord-Pfälzer Bergland, Hunsrück, Taunus + in meiner zweiten Heimat: das Oberallgäu bei Oberstdorf, Bad Hindelang, Hinterstein. Ich bin leidenschaftliche Bergwanderin. Bergab-Floh und Bergauf-Schnecke. Ich kenne Höhenangst und weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, mit schmerzendem Knie abzusteigen. Bei Problemen gebe ich nicht gerne klein bei, vor allem wenn mir etwas wichtig ist. Seit 6 Jahren gebe ich als Sportmental-Coach mein Wissen und meine Erfahrungen in Bergmut-Seminaren und -Coachings weiter. Auf Heimatwandern.de zeige ich Dir, wie Du auch mit hohem Sicherheitsbedürfnis mit den Herausforderungen der Berge/der Natur heimisch wirst ohne den eigenen Rhythmus aus den Augen zu verlieren. Du lernst Dein Potenzial abzurufen und mit Selbstvertrauen und Zuversicht in Deinem Lieblingsgebirge unterwegs zu sein! Abonniere meinen Bergmut-Brief, verschenke einen Bergmut-Gutschein oder bestelle fürs kulinarische Gipfelglück unser Buch aus dem Land der 1000 Hügel.

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