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Fellhorn-Rausch (Gratwanderung von Riezlern zum Söllereck, Allgäuer Hochalpen)

Wandergruppe am Gipfelkreuz des Fellhorns.

Von unten kom­men zwei kleine Punk­te auf uns zu. Als wir näher dran sind, erkenne ich: nach oben gereck­te Arme, die wild hin und her winken. Die meinen uns! Ich ahne: das ist Fam­i­lie von ein­er aus unser­er Truppe. Drehe mich um, um ihr die gute Nachricht zu über­mit­teln. Sehe am Grin­sen in ihrem Gesicht: Sie weiß Bescheid. Auch die anderen real­isieren: Wir habe es geschafft!

Nach 12 Stun­den, 15 Kilo­me­tern, 1038 Höhen­metern hoch und 1010 Höhen­metern runter sind wir zurück am Aus­gangspunkt: Die Tal­sta­tion der Söllereck-Bahn im Klein­walser­tal. Sie liegt auf 1000 Meter über Nor­mal­null. Um abzuschätzen, was noch an Höhen­metern abwärts zu bewälti­gen ist, haben wir uns während des Abstiegs am Tal­bo­den ori­en­tiert. Der liegt noch ein­mal 200 Meter tiefer. Die bleiben uns heute erspart. 

Die Idee mit Höhenängstlern aus meinen Kursen und Train­ings Wan­derun­gen im All­gäu zu unternehmen, trage ich schon seit einiger Zeit mit mir herum. Kun­den fragten und fra­gen hin und wieder: Heike, bietest Du auch Kurse in den Alpen an?“ Im Win­ter 2020/2021 kommt schließlich nach­hak­end eine kurze Anfrage: Du hast doch mal gesagt. Wie siehts aus? Wir hät­ten großes Inter­esse!“ Just im Som­mer davor, ist mir am Gipfel der Kanzel­wand eine span­nende Route in den Blick gekom­men: Über den Fell­horn­grat zum Söllereck.

Den Fell­horn­grat kenne ich, die Zeit ist reif, um wieder mal eine fixe Idee zu ver­wirk­lichen und ich entschei­de aus dem Bauch raus: Das ist die per­fek­te Route für meine geübten Höhenängstler!

Gesagt getan! Ich frage rund. Auf eine E‑Mail an meinen Höhenangst-Verteil­er melden sich weit­ere Kun­den, die sich – zum Teil mit Part­ner — mit mir auf diese Tour wagen wollen. Die Sache mit der Pre­miere im All­gäu wird konkret! Plane einen Rund­kurs, stimme ab, mache mich schlau über Bus­fahrpläne und kalkuliere, dass wir am Schluss gemütlich mit der Gondel runter schweben wer­den. Per­fekt. Dachte ich. Doch eins nach dem anderen.

Um halb acht an einem son­ni­gen Mor­gen im August tre­f­fen wir uns an der Hal­testelle des Walser­busses vor der Söllereck­bahn noch in Deutsch­land und fahren in gut zwanzig Minuten über die Gren­ze nach Rie­zlern in Öster­re­ich. Dort stößt eine weit­ere Teil­nehmerin zu uns. Und so steigt kurz nach neun Uhr ein fün­fköp­figes, hochmo­tiviertes Trüp­pchen auf zum ersten Zwis­chen­ziel der Tour: die Rie­zler Alpe (1550 Meter ü. NN.).  Zuerst auf dem bre­it­en Walser­weg. Noch mit Aus­sicht ins Tal. Dann auf steilem, wurzeligem Pfad durch den Wald. An der Alpe (1526 Meter ü. NN.) öffnet sich der Blick zu Gipfeln und Höhen des Klein­walser­tals: Ich erkenne Wid­der­stein, Hoher Ifen, Gottesacker. 

Große Natur. Klein­er Mensch. 

Wir schla­gen die leichte Route zum Gund­sat­tel (1804 m ü. NN.) ein. Sie ver­läuft auf schmalem Steig ober­halb des rauschen­den Schmiede­bachs. Eine land­schaftlich beein­druck­ende Pas­sage in der tiefen Kerbe der mit Gras bewach­se­nen Flanken von Fell­horn (2038m ü. NN.) und Gehren­spitze (2708 m ü. NN.). 

Pfad ober­halb des Schmiede­bachs und unter­halb der Gehrenspitze.

Kurz vorm Ziel doch eine kurze seil­ver­sicherte Stelle, dann guck­en uns die ersten Kühe ins Gesicht. Nicht nur die. Auch die Kanzel­wand blinzelt uns an.

Die Kanzel­wand kommt in Sicht.

Aus der Stille und Ein­samkeit des Kerb­tals kom­men wir unver­mit­telt in die quirlige Welt rund um die Kanzel­wand­bahn. Puh. Das will erst ein­mal ver­daut wer­den. Fünf Ruhe suchende Berg­wan­der­er von einem Moment auf den anderen zwis­chen hun­derten (!) von berghun­gri­gen Touris­ten, die auf dem ein­fachen Weg zwis­chen Fell­horn- und Kanzel­wand­bahn Bergluft schnuppern.

Nun gut. Wir suchen uns kuh­fladen­freie Fleckchen am Wegrand – Bänke sind alle beset­zt – und gön­nen uns die wohlver­di­ente Rast. Mir her­rlichem Blick auf den All­gäuer Haup­talpenkamm. Sog­ar die Rap­pensee­hütte und den Grat des Hin­de­langer Klet­ter­steigs kann ich von hier aus erken­nen. Erin­nerung wer­den wach. Mein Trüp­pchen ist der­weil wohlge­mut und freut sich über den geschafften Auf­stieg aus eigen­er Kraft zu diesem land­schaftlich wun­der­schö­nen Ort. Die wirk­lich üppige Blu­men­pracht des Berg­som­mers 2021 sorgt für viele, viele zusät­zliche Hachs und Guckmals.

Gestärkt geht es über mit Holzschwellen gesichertem, rel­a­tiv bre­it­en Weg zur Bergsta­tion der Fell­horn­bahn (1975 m ü. NN.). Den heißen Kaf­fee und das Stück Kuchen auf der ein­laden­den Ter­rasse lassen wir uns nicht ent­ge­hen. Irgend­wie babbeln wir uns fest und ver­lieren so ein biss­chen die Zeit aus dem Blick. Wir rap­peln uns auf: Der Fell­horngipfel wartet auf uns!

Die stolzen Gipfel­stürmer. Hin­ter uns der Gratweg.
Mit einem beherzten Sprung schaffe ich es ger­ade so zur Gruppe bevor die Kam­era auslöst.

Jet­zt fan­gen die Knie an zu zit­tern!“ Wenige Meter unter dem Gipfelkreuz erin­nert die Höhenangst bei der ein oder dem anderen an ihre Exis­tenz. Zeit ins gel­ernte Werkzeugkästchen zu greifen, um ihr die Stirn zu bieten! Dann ste­hen wir am Gipfelkreuz (2038 m ü. NN.). Alle Fünfe. Der Alarm in Kopf und Kör­p­er ist so weit besän­ftigt, dass allen die oblig­a­torischen Gipfelfo­tos mit bre­it­em Lächeln im Gesicht gelingen.


Panora­ma auf dem Fell­horn­grat. LInks Hoher Ifen und Gotte­sack­er. © Kundin

Was ein wun­der­bar­er Moment! Was eine grandiose Aus­sicht von hier oben! Was ein schönes Gemeinschaftserlebnis!

Über ein paar knif­fe­lige Stellen steigen wir ab auf den rel­a­tiv bre­it­en Gratweg rüber zum Schlap­phold­kopf (1968 m ü. NN.). Ab hier sind wir wieder unter uns. 

Schritt für Schritt. Die einen schneller, die anderen in ihrem Tem­po. Die Gruppe nimmt Rück­sicht aufeinan­der. Man wartet geduldig. Genießt an einem sicheren Plätzchen das her­rliche Panora­ma. Genug Zeit um Fotos und Film­chen zu machen. Sobald der Unter­grund eben ist, kom­men aber alle sehr gut und entspan­nt mit. Von Höhenangst keine Spur.
Viel zu schnell verge­ht die Zeit. Das Licht wird wärmer. Mitte August ste­ht die Sonne am Nach­mit­tag schon recht tief. Jet­zt däm­mert mir das erste Mal: Die Tal­fahrt mit der Söllereck­bahn um 16.30 Uhr kön­nen wir uns abschminken.
Gedanklich stelle ich mich auf durchge­hen­den Fuß­marsch bis zum Park­platz ein.

Endgültig klar wird mir die Lage als ich den Söllerkopf (1927 m ü. NN.) und sein­er unver­mit­telt steil abfal­l­en­den, fel­si­gen Wände rechter Hand gewahr werde. Seitlich führt der Steig nach unten. 200 Höhen­meter sind bis zum Abzweig zur Söller­alpe zu über­winden. Auf eine Dis­tanz von knapp 1 Kilo­me­ter. Habe ich irgend­wie ver­drängt. Für einige unter uns kein Pap­pen­stiel! Jet­zt zeigt sich deut­lich bei einem Teil der Gruppe: nicht die Höhenangst ist heute die Her­aus­forderung, son­dern die Aus­rutsch- und Sturzangst! Der kom­plette Abstieg per pedes ist gebongt. Die Gruppe fügt sich ihrem Schick­sal. Was bleibt ihnen auch anderes übrig. Wir nehmen weit­er das Tem­po und die Stöcke raus. Mit ruhi­gen, klaren Kom­man­dos lotse ich meine Leute durch die Klip­pen. Gemein­sam meis­tern wir sich­er diese uner­wartete Her­aus­forderung. Der ein­fache Zick-Zack-Pfad ab Höhe Söllereck (1706 m ü. NN.) zur Söller­alpe (1350 Meter ü. NN.) ist dage­gen jeden­falls ein Klacks! Dort kriegen wir am frühen Abend tat­säch­lich noch eine erfrischende Apfel­saftschor­le. Unter­wegs kom­men wir mit der Sen­ner­in ins Gespräch. Ich gucke ein biss­chen nei­disch auf ihr Auto aus dem sie ger­ade aussteigt, um das Gat­ter zur Alpe zu öff­nen und denke:  Nicht unsere Rich­tung. Schade!

Ab Söller­haus (1320 m ü. NN.) unter­halb der Bergsta­tion der Söllereck­bahn gehen wir auf Asphalt. Jet­zt melden sich bei eini­gen die Knie. Wir ent­las­ten sie mit dem Hosen­scheißer­gang und, wo es sich anbi­etet, mit Wech­sel auf weich­es Moos im Wald rechts und links der Straße. Der Tal­bo­den kommt am Hor­i­zont in Sicht. Hui, das ist aber noch ein Stück!
Die ersten Abend­sportler mit Rad und zu Fuß kom­men uns ent­ge­gen; die Bergstraße ist für sie eine willkommene Train­ingsstrecke vor der Haustür. Voller Energie grüßen sie gelaunt. Uns gelingt auch ein Lächeln; bissl ver­rutscht vielle­icht, aber immerhin. 

Dann kommt der Moment, wo ich die zwei Punk­te wahrnehme … 

Gibt es etwas Schöneres, in der Abend­sonne nach ein­er lan­gen, am Ende zehren­den Tour unten anzukom­men, von einem Emp­fangskomi­tee freud­e­strahlend begrüßt zu wer­den, müde aber glück­lich die let­zten Meter zum Park­platz zu schlen­dern, die ersten Geschicht­en des Tages zu erzählen und so was von stolz wie Bolle zu sein, die per­sön­liche Her­aus­forderung – wo auch immer sie für den Einzel­nen gele­gen haben mag — gemeis­tert zu haben? Intu­itiv weißt Du: ein Erleb­nis mit Poten­tial für eine Sto­ry an lan­gen Win­ter­aben­den am Kamin.

Auf dem Weg zum Schlap­phold­kopf. Nach dem Fell­horngipfel wird es wieder ruhiger.

Meinem bergmuti­gen Trüp­pchen danke ich sehr für ihr wohltuen­des Ver­trauen, ihr Dran­bleiben ohne Mur­ren, ihre gute Laune und Begeis­terung bis zum Schluss!!!

Einige Tage später habe ich eine E‑Mail mit dem Betr­e­ff Fell­horn-Rausch“ im Post­fach: Wir wollen soooo gerne noch ein­mal die Fell­horn-Wan­derung machen. Planst Du 2022 wieder eine Tour im All­gäu? Wir sind auf jeden Fall Feuer und Flamme und wären gerne mit dabei. Es passte so toll von der Grup­pen­zusam­menset­zung.“ Noch Fragen?

Heike Tharun

Autor:

Ich bin Heike Tharun. Unterwegs in den Mittelgebirge rund um meine Heimatstadt Mainz: Oberes Mittelrheintal, Nord-Pfälzer Bergland, Hunsrück, Taunus + in meiner zweiten Heimat: das Oberallgäu bei Oberstdorf, Bad Hindelang, Hinterstein. Ich bin leidenschaftliche Bergwanderin. Bergab-Floh und Bergauf-Schnecke. Ich kenne Höhenangst und weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, mit schmerzendem Knie abzusteigen. Bei Problemen gebe ich nicht gerne klein bei, vor allem wenn mir etwas wichtig ist. Seit 6 Jahren gebe ich als Sportmental-Coach mein Wissen und meine Erfahrungen in Bergmut-Seminaren und -Coachings weiter. Auf Heimatwandern.de zeige ich Dir, wie Du auch mit hohem Sicherheitsbedürfnis mit den Herausforderungen der Berge/der Natur heimisch wirst ohne den eigenen Rhythmus aus den Augen zu verlieren. Du lernst Dein Potenzial abzurufen und mit Selbstvertrauen und Zuversicht in Deinem Lieblingsgebirge unterwegs zu sein! Abonniere meinen Bergmut-Brief, verschenke einen Bergmut-Gutschein oder bestelle fürs kulinarische Gipfelglück unser Buch aus dem Land der 1000 Hügel.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Liebe Heike,
    Diese Tour liest sich wun­der­bar!! Falls du näch­stes Jahr wieder eine Tour im All­gäu anbi­etest, nimm mich gerne in den Kreis der Inter­essen­ten auf!
    Viele Grüße
    Annette

    Antworten

    • Hal­lo, liebe Annette, danke für Dein schönes Feed­back. Die Touren im All­gäu sind vor­erst für die Höhen- und Aus­rutschängstler gedacht. Per­spek­tivisch ist aber dur­chaus Poten­tial, den Kreis zu erweit­ern! Ich notiere Dich auf jeden Fall!! Einen lieben Gruß Heike

      Antworten

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