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Himmelsgeschenk (Worms/Bonn, Etappe 12 von Boppard nach Rhens)

Heike klettern auf Krampen den Fels hoch.

Die Vor­freude ist dieses Mal beson­ders groß. Die 12. Etappe unser­er Wan­derung von Worms nach Bonn begin­nt in Bop­pard mit einem Filet­stückchen für Berg­wan­derin­nen: dem Mit­tel­rhein-Klet­ter­steig, dem alpin­sten der Klet­ter­steig im Oberen Mittelrheintal. 

Doch ein Win­tere­in­bruch die Tage zuvor dro­ht uns einen Strich durch die Rech­nung zu machen. Eis und Schnee. Nicht grad das was man am Fels auf Eisenkram­p­en haben möchte. Ban­gen. Dann Ent­war­nung in let­zter Sekunde: Die Wet­ter­vorher­sage kündigt für den Tourentag trock­en und Plus­grade an. Glück gehabt! Wie sich später her­ausstellt, wird es noch weit­eren Anlass zum Kurz-Luft-Anhal­ten geben bei dieser Tour. Doch bergmutig eins nach dem anderen. 

Vor­sicht­shal­ber sind Klet­ter­steig-Gurt- und ‑Set im Ruck­sack. Und die erste Leit­er hat es dann auch gle­ich in sich. Der Win­ter ver­birgt nichts, kein Grün gibt dem Auge halt. Wie auf einem 5‑Me­ter-Turm raus­laufen ins Nichts und dann runter. No Prob­lem. Aber es fühlt sich an, als wäre ich sie noch nie gegangen.

Stich­wort Erin­nerung”. Am Vor­abend im Bett drängten sich mir beim Gedanken an die Tour im Rhein­tal am näch­sten Tag Bilder vom Klet­ter­steig an der Kanzel­wand im Klein­walser­tal im ver­gan­genen Som­mer ins Bewusst­sein. An einem Fel­süber­hang. Meine Tochter hin­ter mir. Dann ich. Vor mir der Bergführer ruft: Häng’ Dich mit gestreck­ten Armen mit Deinem ganzen Gewicht ans Seil!”. Auf keinen Fall!”, denke ich. Die Arme sind meine Schwach­punk­te. Ich wäre ver­loren. Klemme den recht­en Arm hin­ter das Seil, um mich zu hal­ten. Abends wird er dunkel­blau sein. Egal. Den Mit­tel­rhein-Klet­ter­steig fürchte ich deshalb nicht. Meine Zuver­sicht ist ein Ste­haufmän­nchen. Außer­dem: Da gibt es doch gar keinen Über­hang. Am Rhein!

Vergessen kann ein Segen sein. Mein für­sor­glich­es Gehirn lässt sich jedoch nicht beir­ren. Bei Bop­pard im Fels holt es die Fel­süber­hang-Bilder vom Vor­som­mer just in dem Moment erneut aus dem Fun­dus als vor mir eine schein­bar ver­gle­ich­bare Sit­u­a­tion auf­taucht: Das Führungs­seil ste­ht fast genau über den Krampen.

Plöt­zlich geht gar nichts mehr. Kein Vor und kein Zurück. Das Alarm­sys­tem im Kopf zieht die Not­bremse. Block­ade. Wir sind mit­ten in der Wand. Hin­ter mir ste­ht Andrea. Ich schaue Sie mit schiefem Lächeln im Gesicht an und geste­he: Hier stecke ich fest.” Sie antwortet lakonisch: Du bist die Expertin!”.

Der Abgrund unter den Füßen ist es nicht. Nicht die Angst abzustürzen. Es ist das Bild vom let­zten Som­mer. Die Erin­nerung an das Scheißge­fühl der bren­nen­den Ober­ar­m­musku­latur, das Seil, das die Haut reibt und die Erken­nt­nis: so oder gar nicht. Sack­gassen-Gefühl. Schon will ich anset­zen, Andrea diese Hor­rorsto­ry an der Kanzel­wand zu erzählen, da wirft sich mein geschultes Men­tal­coach-Gehirn entschlossen dazwis­chen: Stop!

Ich schaffe das!” Im Bruchteil ein­er Sekunde geht die men­tale Not­bremse auf. Mein rechter Fuß löst sich willig von der Krampe und lässt sich ohne Mur­ren auf die näch­ste Stiege set­zen. Dieser kurze Moment reicht aus. Im Tun spüre ich: Ich schaffe das tat­säch­lich. Der Über­hang hat rein gar nichts mit den Ver­hält­nis­sen am Kanzel­wand­klet­ter­steig zu tun. Greife ein paar Mal um und bin im näch­sten Moment über die kri­tis­che Stelle hinweg. 

Nach ein paar wilden Krax­eleien und zwei Kilo­me­ter weit­er: High five! Mit einem zufriede­nen Gefühl so was von machen wir uns auf bre­it­em Weg motiviert an die verbleiben­den 14 Kilo­me­ter ins schon rhein­ländis­che Rhens.

Die Moral von der Geschichte: Mei­de Hor­ror-Geschicht­en. Damit gießt Du Öl ins Feuer. Dein Him­mels­geschenk” dro­ht Dir aus der Hand zu gleit­en: Deine einzi­gar­tige men­tale Fähigkeit klar zu denken, zu han­deln und Dich auf das zu fokussieren, worum es ger­ade geht: eine schwierige Sit­u­a­tion meistern.

Heike Tharun

Autor:

Ich bin Heike Tharun. Unterwegs in den Mittelgebirge rund um meine Heimatstadt Mainz: Oberes Mittelrheintal, Nord-Pfälzer Bergland, Hunsrück, Taunus + in meiner zweiten Heimat: das Oberallgäu bei Oberstdorf, Bad Hindelang, Hinterstein. Ich bin leidenschaftliche Bergwanderin. Bergab-Floh und Bergauf-Schnecke. Ich kenne Höhenangst und weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, mit schmerzendem Knie abzusteigen. Bei Problemen gebe ich nicht gerne klein bei, vor allem wenn mir etwas wichtig ist. Seit 6 Jahren gebe ich als Sportmental-Coach mein Wissen und meine Erfahrungen in Bergmut-Seminaren und -Coachings weiter. Auf Heimatwandern.de zeige ich Dir, wie Du auch mit hohem Sicherheitsbedürfnis mit den Herausforderungen der Berge/der Natur heimisch wirst ohne den eigenen Rhythmus aus den Augen zu verlieren. Du lernst Dein Potenzial abzurufen und mit Selbstvertrauen und Zuversicht in Deinem Lieblingsgebirge unterwegs zu sein! Abonniere meinen Bergmut-Brief, verschenke einen Bergmut-Gutschein oder bestelle fürs kulinarische Gipfelglück unser Buch aus dem Land der 1000 Hügel.

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