Suche
Suche Menü

Nord-Pfälzer Bergland (Teil 7): Von kühnen Frauen, Kinnergaddekinnerscher und Kniemuskulatur

Nordpfalz

Vor drei Wochen ging ich ohne Jacke auf Wan­der­schaft. Seit ein paar Tagen ist der Hochsom­mer eingeknickt. Um 6 Uhr in der Früh zeigt das Ther­mome­ter heute frische 9 Grad plus. Zwiebel­prinzip ist ange­sagt. Jacke, Flee­cepul­li, T‑Shirt. Die Bank an der Bushal­testelle ist beset­zt: mit Tau!

Der Fahrkarte­nau­tomat am Bahn­hof nimmt nur bis 20 Euroscheine. Sicher­heit­shal­ber wech­se­le ich den 50er für die Rück­fahrt am Nach­mit­tag bei Mc Don­ald gegen eine Tasse Kaf­fee und neun (!) 5er Scheine. Musst Du zählen!“, lacht der Ser­vice­mann. Stimmt. Das Pack­erl geht grad so in das kleine Wan­der­porte­mon­naie, das ich mir angeschafft habe, um Platz und Gewicht im Ruck­sack zu sparen.

Die heutige Etappe mein­er Wan­derung durch die Nordp­falz ver­läuft von Meisen­heim über Desloch und Lauschied nach Bad Sobern­heim (12 km). Ein san­fter Nord‑, Nordwest‑, Nordkurs.

Meine linke Ferse tat auf den let­zten Kilo­me­tern der let­zten Wan­derung der­maßen weh, dass ich kaum mehr laufen kon­nte. Deshalb beschränke ich mich dieses Mal auf eine kürzere Route. Pro­belauf für die neuen Ein­la­gen. Mal sehen, ob sie sich bewähren.

Am Tagesziel steige ich von der Bahn um in die Buslin­ie 262, die mich zum Aus­gangspunkt der Wan­derung brin­gen soll: Meisenheim.
Meisen­heim hat sich als ide­al­er Start­punkt für eine Nordp­falz­tour her­aus­gestellt. Die kleine Stadt am Glan liegt gün­stig. Sie ist mit Bahn und Bus von Mainz aus in max­i­mal 1,5 Stun­den zu erre­ichen; ohne lange Wartezeit­en beim Umsteigen. Und Meisen­heim liegt zen­tral. Von hier aus lässt sich die Nordp­falz in für mich mach­bare Dis­tanzen (15 bis 2o Kilo­me­ter) erkun­den. Wichtig ist näm­lich ein Bahn­hof am Ziel, über den ich flot­ten Anschluss an Zuhause habe. In dieser Hin­sicht liegt Meisen­heim perfekt.

Als sich die Bustür öffnet, bin ich baff. Hin­ter dem Lenkrad sitzt eine adrette ältere Dame und feilt sich die Fin­gernägel. Wohin?“, fragt sie fre­undlich und guckt über den Bril­len­rand drüber. Dann runter, durch die Gläs­er. In Ord­nung!“, quit­tiert sie meine Fahrkarte.
Im Bus­ra­dio laufen Nachricht­en, die sie mit Seufz­ern und Kopf­schüt­teln kom­men­tiert. Dabei lenkt sie das rund 12 Meter lange Gefährt sou­verän durch die engen Kurven.
Am Abzweig nach Bär­weil­er hält sie an. Die Straße in den Ort ist ges­per­rt. Sie wartet, ob Fahrgäste, die per Aushang informiert sind, zur Kreuzung raus­ge­laufen kom­men. Zeit für ein Schwätzchen und wir kom­men ins Gespräch.

Ich bewun­dere, dass sie als Bus­fahrerin arbeit­et. Ich foar schon seit 35 Joar!“, erzählt sie stolz. Eine spon­tane Entschei­dung sei das damals gewe­sen, mit der der Mann erst gar nicht ein­ver­standen war. Sie solle sich sofort wieder abmelden, habe er protestiert. Aber sie hat sich nicht abbrin­gen lassen von ihrem Plan. Sechs Wochen habe die Aus­bil­dung gedauert. Damals musste sie zusät­zlich den LKW-Führerschein machen. Noch keinen Tag habe sie ihren Entschluss bedauert.
Aber so langsam kämen die Gedanken ans Aufhören; schließlich sei sie schon über 70 Jahre. Im Früh­jahr habe sie den Per­so­n­en­be­förderungss­chein noch mal weit­ere 5 Jahre ver­längern lassen. Es macht doch noch so einen Spaß! Die Zeit ren­nt einem fort.“, sin­niert sie einen kurzen Augen­blick wehmütig. Doch schon geht es weiter.

So, jet­zt fahrn mehr noch do rin un hole die Kin­ner­gad­dekin­nercher ab.“ Dabei fällt mir die Geschichte mit dem net­ten Bus­fahrer im Früh­jahr wieder ein.

Und wie ist es im Win­ter mit dem Bus­fahren hier auf dem Land, bei Eis und Schnee, will ich wis­sen. Dieser Win­ter woar jo gar nix. Aber sun­st… es geeeht.“

Als ich frage, ob ich sie fotografieren darf, reckt sie sich: Ei wirk­lisch? Ei jo!“, pfälz­ert sie und lacht keck in den Rück­spiegel. Nach­dem die Kleinen wohlbe­hal­ten in der Kita abgeliefert sind, hält sie noch so lange, bis das Foto im Kas­ten ist. Wir winken uns lachend zu. Dann ist sie weg, die Ursu­la. Den Namen hat mir das Namenss­child­chen ver­rat­en, das mit kleinen Ted­dy­bärchen an der Frontscheibe baum­melt. Was für eine mutige, stolze Frau. Mit 70 noch so flott unter­wegs. Ich habe sie so um die 60 geschätzt. Boah! Da kann ich mir eine Scheibe abschneiden.

Das liebe ich am Über­land­wan­dern auch so: solche Men­schen kennenlernen!

In Bad Sobern­heim ist der Ein­stieg zum Wan­der­weg schnell gefun­den. Ein schmaler, mit Obst- und Laub­bäu­men gesäumter Wiesenpfad. Als natür­lichen Weg­weis­er habe ich den Heim­bach an mein­er Seite. Nach weni­gen Metern schäle ich mich aus den Klam­ot­ten und laufe kurzärmelig. Das Allein­wan­dern koste ich aus. Nehme mir Zeit zum Fotografieren. Nach ein­er mehrwöchi­gen Wan­der­pause tut diese Frei­heit richtig gut. Blattgrün, blauer Him­mel und rot­er Apfel ergeben ein far­ben­sattes Motiv. Im Fis­chte­ich spiegeln sich die Strohrollen auf dem benach­barten Feld. Lustig sehen die haushohen Strohsäulen aus. Wie riesige Ein­machgläs­er mit ihren Hauben aus weißen Plastikplanen.

Auf dem  höch­sten Punkt dieser Wan­derung (378 Meter) ober­halb von Lauschied bestaune ich das typ­is­che Nordp­falz-Panora­ma: Mit ein­er 360 Grad-Drehung um die eigene Achse zeigen sich die Höhen der umliegen­den Mit­tel­ge­birge: Soon­wald, Hun­srück, Roten­fels, Binger Wald, Taunus, Don­ners­berg. Alle da!

Die Mär vom Herb­st hat in den let­zten Tagen die Runde gemacht. Auch wenn es erst Mitte August ist und heute die Sonne scheint, der Som­mer hat augen­schein­lich seinen Zen­it über­schrit­ten. Die Felder sind wie leer gefegt. Die Ernte einge­bracht. Abkürzun­gen über Stop­pelfelder sind jet­zt wieder möglich. Die Bauern pflü­gen die Äck­er. Das Knat­tern der Trak­toren begleit­et mich über weite Streck­en durch die offene Landschaft.

Nach der Gemarkung Die Wald­lose” erre­iche ich den Rand des Bad Sobern­heimer Waldes. Zwei Markierun­gen weisen Routen zum Wan­derziel. Eine Län­gere (6,5 km) über Med­der­sheim und eine Kürzere (2,5 km), die Diret­tis­si­ma durch den Wald runter ins Nahetal. Aus den bekan­nten Grün­den entschei­de ich mich für die Direk­troute. Hier im Wald ist noch keine Spur von Herb­st zu ent­deck­en. Alles naht­los grün. Vom nahen Freibad höre ich Kinder lachen, qui­etschen und vergnüglich schreien. Noch sind Sommerferien!

Das wieder aufgenommene Train­ing der Kniemusku­latur macht sich pos­i­tiv bemerk­bar. Der Abstieg runter nach Bad Sobern­heim geht fast schmerzfrei von stat­ten. Mit den Stan­dard­ein­la­gen bin ich noch nicht zufrieden. Da muss doch was speziell für meinen Fuß Gefer­tigtes her, so mein Faz­it dieser Pro­be­tour. Vor allem, weil die Abschlus­se­tappe von Wolf­stein nach Rock­en­hausen mit über 20 Kilo­me­tern noch dieses Jahr anste­ht! Da freue ich mich schon sehr drauf.

+ + Etappe 7 — Nord-Pfälz­er Berg­land 2014  — Mittwoch, 20.8 — von Meisen­heim am Glan nach Bad Sobern­heim an der Nahe — 12 km, 289 hm Auf­stieg, 229 hm Abstieg ++

++ Karte: Westp­falz Nord – Blatt 1. Pfälz­er Berg­land mit Nahe —  Topographis­che Karte 1:25.000 — ISBN 978–3‑89637–412‑7++

Heike Tharun

Autor:

Ich bin Heike Tharun. Unterwegs in den Mittelgebirge rund um meine Heimatstadt Mainz: Oberes Mittelrheintal, Nord-Pfälzer Bergland, Hunsrück, Taunus + in meiner zweiten Heimat: das Oberallgäu bei Oberstdorf, Bad Hindelang, Hinterstein. Ich bin leidenschaftliche Bergwanderin. Bergab-Floh und Bergauf-Schnecke. Ich kenne Höhenangst und weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, mit schmerzendem Knie abzusteigen. Bei Problemen gebe ich nicht gerne klein bei, vor allem wenn mir etwas wichtig ist. Seit 6 Jahren gebe ich als Sportmental-Coach mein Wissen und meine Erfahrungen in Bergmut-Seminaren und -Coachings weiter. Auf Heimatwandern.de zeige ich Dir, wie Du auch mit hohem Sicherheitsbedürfnis mit den Herausforderungen der Berge/der Natur heimisch wirst ohne den eigenen Rhythmus aus den Augen zu verlieren. Du lernst Dein Potenzial abzurufen und mit Selbstvertrauen und Zuversicht in Deinem Lieblingsgebirge unterwegs zu sein! Abonniere meinen Bergmut-Brief, verschenke einen Bergmut-Gutschein oder bestelle fürs kulinarische Gipfelglück unser Buch aus dem Land der 1000 Hügel.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Du hast eine ein­ma­lige Art zu fotografieren und die gefällt mir außerordentlich :-)

    Das Foto Wiese unscharf, Ack­er dadurch fotografiert und scharf” ein Knüller!!!!!!

    In die Äppel kön­nte ich soooo rein beißen :-)

    Ganz liebe Grüße
    Elke

    Antworten

    • OH Elke, danke für dieses Kom­pli­ment!!!!!!!!!! Freue mich. :-) Schön­er Ein­klang ins Wochenende! :-))

      Antworten

  2. Liebe Heike,
    ich lese immer alle deine Posts und freue mich daran, aber dieser hier ist dir mal wieder beson­ders gelun­gen. Ich füh­le mich mitgenom­men (im besten Sinne) und habe sofort Lust, selb­st mal wieder zu gehen. Deine Fotos sind super! Aber auch deine lau­nige Beschrei­bung der Anfahrt. Zum Glück war ich heute selb­st zu Fuß unter­wegs, nur kurz, aber in der Sonne. Vie­len Dank für die schö­nen Impres­sio­nen und alles Gute in Sachen Einlagen!

    Antworten

    • Liebe Ellen, danke für Dein Mitle­sen! Darüber freue ich mich sehr, auch dass Dir dieser Post beson­ders gefall­en hat. Ja, die Anreise und der Schwatz mit der coolen Bus­fahrerin war auch etwas ganz Beson­deres. Solche Begeg­nun­gen bleiben unvergesslich. Was meinen Fuß bet­rifft, bin ich zuver­sichtlich. :-) Her­zliche Grüße Heike

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.