Mitternachtsonne und milde Winter — darauf sind die Nordnorweger stolz wie Oskar. Der Golfstrom, die Naturheizung im Atlantik, sorgt hier im Durchschnitt für angenehme minus 2 Grad in der dunklen Jahreszeit. Wir waren Anfang Juli mit dem Postschiff jenseits des Polarkreises unterwegs und stellten fest: Auch im Sommer gibt es hier oben Tage, an denen es nicht sehr viel wärmer wird. Dafür scheint die Sonne, wenn sie sich Bahn bricht, von Mai bis August rund um die Uhr.
Sommer ist wie er ist. Alle möglichen Faktoren beeinflussen ihn; Menschen haben wenig bis keinen Einfluss auf den Verlauf von Jahreszeiten (das Thema Klimawandel lasse ich hier mal außen vor). Trotzdem lamentieren wir mit Leidenschaft darüber. Dazu sind mir folgende Zeilen aus dem Buch “Schiffsmeldungen” von E. Annie Proulx untergekommen, das in Neufundland (noch südlich des Polarkreises, aber ohne Einfluss des Golfstromes) spielt.
“Ich spür’, wie die Jahreszeit wechselt…Es zieht an. Dieser Wetterumschwung bedeutet das Ende des heißen Wetters.”, sagt Billy, der sein ganzes Leben auf der Insel verbracht hat. “Was für heißes Wetter?… Das ist der erste Tag, an dem wir nach meiner Einschätzung über fünf Grad haben. Der Regen steht immer kurz davor, zu Schnee zu werden…”, erwidert Quoyle, der auf dem amerikanischen Festland aufgewachsen ist und erst seit Kurzem auf Neufundland lebt.
Wir haben mindestens zwei Möglichkeiten: Uns an den Umständen, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen, die wir aber auch nicht ändern können, zu reiben. Oder, die Umstände, die wir nicht ändern können, anzunehmen. Zurück in der Heimat habe ich beschlossen, mich regendicht zu machen. Auf warme, trockene Tage besteht ja trotzdem noch berechtigte Hoffnung — in unseren Breiten jedenfalls. Bei 25 Grad liegt meine persönlich Sommer-Wohlfühltemperatur. Nordnorweger gehen schon bei 15 Grad kurzärmelig, mit nackten Beinen und ohne Strümpfe. Sommer ist eben Kopfsache.
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In diesem Zusammenhang erzähle ich immer gerne die wundervolle Geschichte von Anthony de Mello: “Warum der Schäfer jedes Wetter liebt”:
Ein Pilger: “Wie wird das Wetter heute? Der Schäfer: “So, wie ich es gerne habe.” “Woher wisst Ihr, dass das Wetter so sein wird, wie Ihr es liebt?”
“Ich habe die Erfahrung gemacht, mein Freund, dass ich nicht immer das bekommen kann, was ich gerne möchte. Also habe ich gelernt, immer das zu mögen, was ich bekomme. Deshalb bin ich ganz sicher: das Wetter wird heute so sein, wie ich es mag.”
:-)
Alles Liebe,
Jürgen
Ja, die Schäfer. Ich bewundere diese Zunft. Sie lassen sich mit Haut und Haar auf die Natur ein…
Sommertemperaturen haben dort oben tatsächlich eine ganz andere Bedeutung. Auch wir waren Ende Juni, Anfang Juli in Richtung Island mit dem Schiff unterwegs. Dennoch hatte ich den Eindruck, wir hatten zwischenzeitlich fast bessere Wetterbedingungen als hier in Deutschland zur gleichen Zeit. Auf jeden Fall war es von oben wesentlich trockener. Außerdem ist die Natur einfach faszinierend, und in vielen Bereichen auch sehr prägend für die Lebensbedingungen. Wer sagt denn, dass nur ein Sommer mit 30° im Schatten ein richtiger Sommer ist?
Herzliche Grüße von Heike Barz-Lenz
So sehe ich es auch. Nordgehend war der Regen bestimmend. In Bergen liefen viele Leute mit Gummistiefeln herum — ganz selbstverständlich, wie mir schien. Den ersten Sonnentag hatten wir dann in Kirkenes! Und ja, die Natur ist sehr beeindruckend — ich mag z.B. die natürlichen Steinskulpturen in den Felswänden entlang der Fjorde, und die Farbenspiele in der Landschaft, wenn die Sonne durchbricht. Island steht auch auf meiner Wunschliste… :-)